Regisseur Sean Baker, bekannt für Filme wie The Florida Project und Red Rocket, hat mit ANORA eine weitere Geschichte geschaffen, die tief in die Lebensrealität von AußenseiterInnen unserer Gesellschaft eintaucht. Mit viel Herz, pointiertem Humor und einer bittersüßen Tragikomik erzählt ANORA von den wilden Träumen einer jungen Frau, die nach einem besseren Leben sucht, dabei aber immer tiefer in die Abgründe ihrer Existenz rutscht. Der Film gewann nicht ohne Grund die Goldene Palme bei den 77. Filmfestspielen in Cannes – er ist ein gelungenes Werk, das gleichermaßen unterhält und nachdenklich macht.
Eine junge Frau auf der Suche nach einem besseren Leben
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Anora, die lieber Ani genannt werden will. Die 23-Jährige arbeitet als Stripperin in einem gut besuchten Club in Brooklyn. Hier bedient sie die unterschiedlichsten Kunden – von zwielichtigen Geschäftsmännern bis hin zu nervösen Junggesellen auf der Suche nach einem letzten Abenteuer vor dem Ernst des Lebens. Ani ist keine gewöhnliche Stripclub-Tänzerin: Sie hat Träume und Ambitionen, auch wenn sie das in ihrer aktuellen Lebenssituation oft nicht zeigt. Doch der Alltag zwischen laszivem Tanzen, bezahlten Partys und gelegentlichen zusätzlichen „Diensten“ zerrt an ihren Kräften.
Eines Abends betritt Ivan, der Sohn eines russischen Oligarchen, den Club. Während sie einfach nur zu Abend essen will, überredet ihr Chef sie dazu, sich mit dem Kunden zu befassen, denn sie sei die einzige seiner MitarbeiterInnen die russisch spricht. Er scheint die Lösung für all ihre Probleme zu sein, denn der junge Mann, der viel jünger und naiver wirkt, als es sein Reichtum vermuten lässt, bucht Ani kurzerhand für eine ganze Woche als seine Begleiterin. Hier fängt der Film an, geschickt mit bekannten Hollywood-Klischees zu spielen. Anders als in Pretty Woman, wo die Prostituierte in der Luxuswelt aufblüht, bleibt Ani in ihrer Rolle als bezahlte Begleiterin und Entertainerin gefangen – die Summen sind höher, die Fassade blendender, aber die Grundproblematik bleibt dieselbe.
Von Brooklyn nach Las Vegas – und dann beginnt der wahre Kampf
Was als einfache Woche voller bezahlter Gesellschaft beginnt, entwickelt sich schnell zu einer wilden Romanze. Ivan und Ani landen nach nur wenigen Tagen in Las Vegas, wo sie in einem betrunkenen, von Glamour und Exzess getriebenen Moment spontan heiraten. Die Szenen in Las Vegas sind laut, schrill und vermitteln das Gefühl eines Traumes, der zu schön ist, um wahr zu sein. Tatsächlich wendet sich Anis Schicksal kurz darauf dramatisch, als Ivans Eltern von der Hochzeit erfahren und alles daran setzen, diese Ehe schnellstmöglich zu annullieren.
Es wird schnell klar, dass Ivan nicht nur feige ist, sondern auch völlig unreif. Während Ani beginnt, an die Möglichkeit eines besseren Lebens zu glauben, setzt Ivan alles daran, sich der Verantwortung zu entziehen und haut ab. Die Eltern des Oligarchensohnes schicken ihren Aufpasser Toros, begleitet von zwei finsteren, aber skurrilen Typen – Igor und Garnick (großartig gespielt von Yura Borisov und Vache Tovmasyan) – nach New York, um die Ehe aufzulösen und den entflohenen Ivan zurück nach Russland zu holen. Während der russische Clan beginnt, Ani zu bedrängen, wird sie gezwungen, ihre eigene Position in dieser chaotischen Situation zu überdenken.
Ani – Eine Heldin wider Willen
Mikey Madison, bekannt aus Once Upon a Time in… Hollywood, spielt die Rolle der Ani mit einer bewundernswerten Mischung aus Härte und Zerbrechlichkeit. Sie ist keine klassische Heldin, die sich tapfer den Herausforderungen stellt, sondern eine Überlebenskünstlerin, die sich durch eine Welt bewegt, in der jeder Versuch, sich zu befreien, von neuen Hindernissen überschattet wird. Ihre Beziehung zu Ivan, die auf Oberflächlichkeit und gegenseitiger Nutzung basiert, wird schnell zu einem Spiegelbild ihrer gesamten Lebenssituation: Sie ist auf der Suche nach einer Flucht, doch die Türen, die sich ihr öffnen, führen oft nur in eine neue Sackgasse.
Besonders beeindruckend ist die Darstellung von Anoras Beziehung zu ihrer Arbeit. Der Film beginnt in den schummrigen, neonglitzernden Stripclubs, die sowohl als Schutzraum als auch als Gefängnis für Ani dienen. Die schnellen Schnitte und hektischen Kameraeinstellungen unterstreichen das raue und gnadenlose Tempo ihres Lebens, das von einer Party zur nächsten hetzt, ohne dabei eine wirkliche Zukunft zu bieten. Sobald sie sich auf die Reise mit Ivan begibt, wechselt der Film gekonnt das Tempo und schafft es, Anis innere Zerrissenheit zwischen Träumen und harter Realität spürbar zu machen. Als hätte die Geschichte ihren eigenen Drogentrip verlassen.
Russische Oligarchen und eine wilde Jagd
Die GegenspielerInnen in ANORA sind genauso skurril und tragisch wie Ani selbst. Igor und Garnick liefern eine grandiose Mischung aus bedrohlicher Präsenz und slapstickhaftem Humor. Sie wirken zunächst wie typische Gangster, die Ivans Eltern angeheuert haben, um die Situation schnell und sauber zu lösen. Doch schnell wird klar, dass sie keine gewöhnlichen Handlanger sind. Sie möchten die Angelegenheit „anständig“ regeln und sind keineswegs die brutalen Schläger, die man erwartet hätte. Stattdessen versuchen sie, die Ehe auf legale Weise zu beenden, bevor sie schließlich erkennen, dass dies nur im Chaos enden kann. Gebrochene Nasen, blaue Flecke und Übelkeit – das volle Programm zieht sich durch die zweite Hälfte des Films, bei der man manchmal nicht weiß ob man lachen oder wegschauen soll. Der Roadtrip, der sich daraus entwickelt, führt Ani und die russischen „Schurken“ quer durch New York und Las Vegas. Dabei wechseln sich dramatische und komische Momente in einem Tempo ab, das den Film immer spannend hält. Der krönende Abschluss ist eine absurde und doch herzzerreißende Schlussszene, in der Anora endlich die Realität ihrer Handlungen erkennen muss. Es ist ein Moment, der sowohl das Herz bricht als auch den ZuschauerInnen zeigt, dass der Zauber nicht ewig anhalten kann.
Mehr als nur Romantik: Eine Geschichte über Klasse und Herzschmerz
ANORA ist viel mehr als nur eine Liebesgeschichte. Sean Baker seziert mit dem Film die Abgründe der Arbeiterklasse und zeigt, dass das Streben nach einem besseren Leben oft mit einem hohen Preis verbunden ist. Der Film stellt nicht die Romantik in den Vordergrund, sondern konzentriert sich auf die Verzweiflung und den Herzschmerz, die mit dem Versuch, sich aus den Fesseln der Gesellschaft zu befreien, einhergehen. Anis Träume von Freiheit und Reichtum sind dabei immer nur eine Illusion, die vom nächsten Rückschlag zerschmettert wird. Als ZuschauerIn möchte man, dass Anora ihrem Schicksal entflieht. Man hofft für sie, dass sie ein besseres Leben erlebt – allerdings gäbe es da sicherlich bessere Wege, um das zu erreichen.
Die Kameraführung von Alexis Zabe (The Florida Project) unterstützt diese bedrückende Atmosphäre perfekt. Während die ersten Szenen in Brooklyn voller Neonlichter und glitzernder Club-Atmosphäre sind, wird der Film mit jedem Schritt kälter und klaustrophobischer, bis Ani schließlich vor den Trümmern ihres Traums steht. Die Welt, die Baker in ANORA erschafft, ist gnadenlos und zeigt, dass selbst das schillerndste Leben schnell an Glanz verlieren kann, wenn die Realität zuschlägt.
Fazit: Ein bitterer, aber humorvoller Blick auf das Leben der Erotiktänzerin
Sean Bakers ANORA ist eine tolle Tragikomödie, die sich den Tiefen und Höhen des Lebens der Arbeiterklasse widmet. Mit brillanten Darstellungen, insbesondere von Mikey Madison als Ani, und einem Drehbuch, das geschickt Humor und Drama miteinander verwebt, ist der Film ein Muss für alle, die Filme über Menschen am Rande der Gesellschaft lieben. Die Geschichte ist hart, emotional und oft sehr schmerzhaft, aber sie ist auch voller lebendiger Momente, die das Herz erwärmen und das Publikum zum Lachen bringen.
Quelle:
Facebook-Page zum Film: http://www.facebook.com/UniversalPicturesDE
Vielen Dank an VOLL:KONTAKT für die Einladung zur Pressevorführung.
Bilder: © 2024 Anora Productions, LLC | © Universal Pictures
Comments 1