Mit Thunderbolts schlägt das Marvel Cinematic Universe einen spürbar anderen Ton an – und dieser hallt nach. Vergesst blitzsaubere SuperheldInnen mit makellosen Moralvorstellungen, hier bekommt ihr gebrochene Seelen, kaputte Körper und eine düstere Mission, bei der niemand ein Happy End verspricht. Es ist ein Film über AußenseiterInnen, über VersagerInnen – und über die Frage, was passiert, wenn man versucht, sie trotzdem zu HeldInnen zu machen.
Die Handlung folgt Figuren, die überall dort hingeschickt werden, wo andere Agenten die Finger von lassen würden. Im Mittelpunkt: Yelena Belova (Florence Pugh), die Schwester der verstorbenen Black Widow, Bucky Barnes alias Winter Soldier (Sebastian Stan), der gealterte Red Guardian (David Harbour), der desillusionierte US Agent aka Walker (Wyatt Russell), die rätselhafte Ghost (Hannah John-Kamen) und Taskmaster (Olga Kurylenko) – sowie natürlich Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus), die ihnen gegenüber steht und sie gegeneinander ausspielen will. Während die Bande Valentina zur Rechenschaft ziehen will, zieht eine dunkle Bedrohung über die Stadt, die es aufzuhalten gilt und dabei prallt eine explosive Mischung aus Ego, Schuld und inneren Abgründen aufeinander. Und dann ist da noch Bob. Unscheinbar. Ruhig. Fast schon verloren, aber mit von der Partie.
Was folgt, ist kein klassischer Showdown, sondern ein Schnitt über Instabilität, Angst und dem fragilen Band zwischen Kontrolle und Wahnsinn.
Ein Film wie eine Graphic Novel
Bereits die Eröffnungsszene macht klar: Thunderbolts ist visuell ein Erlebnis. Yelena kämpft sich im düsteren Zwielicht durch eine Gruppe Wachleute – choreografiert wie eine Videospiel-Szene, durchzogen von Symbolik und einem Hauch Foreshadowing. Viele Bilder wirken wie direkt aus einem Comic-Panel geschnitten, was dem Film eine intensive, stilisierte Ästhetik verleiht, ohne auf Authentizität zu verzichten. Die Farbpalette ist entsättigt, die Kamera oft nah an den Figuren, zitternd, atmend – als würde sie mitfühlen, was die Charaktere durchmachen. Und das tun sie, jeder von ihnen auf seine Weise. Als Yelena sich von einem Gebäude stürzt, hat dies nichts actionreiches – für sie ist es beliebig, denn schon seit einiger Zeit ist sie von ihrer Aufgabe als Valentinas Mädchen-für-alle-Drecksjobs müde und innerlich ausgebrannt. Walker ist vom Verlust seiner Familie zerrissen, Bob ein wandelndes Trauma. Hier wird nicht gekichert, um Schmerz zu überdecken. Thunderbolts setzt sich mit dem Thema Depression visuell auseinander und macht sie zum erzählerischen Herzstück. Was sich daraus ergibt, ist eine Art Gruppentherapie in Superheldenform – roh, ehrlich, ungeschönt.
„Versager“ mit Tiefe – und einer zweiten Chance
Trotz (oder gerade wegen) ihrer Brüche wachsen einem die Charaktere schnell ans Herz. Florence Pugh liefert eine ihrer stärksten MCU-Performances ab: verletzlich, zynisch, stark – und voller Wärme, wenn sie sich um Bob kümmert, der von Lewis Pullman ebenfalls sensibel und mit viel Feingefühl gespielt wird. Red Guardian ist wie gewohnt der Comic Relief, doch auch er bekommt seine ernsten Momente – trotz seines eigenen traurigen Lebens versucht er, seine Tochter aufzubauen und sie zu stärken. Er kann seine glorreichen Zeiten nicht vergessen und sieht einer helleren Zukunft entgegen, jedenfalls immer dann, wenn sich eine Chance ergibt. Die Gruppendynamik erinnert an die besten Momente aus Guardians of the Galaxy – nur weniger bunt, mehr blutig.
Spannend ist auch die Frage, was aus Menschen wird, die nie für Ruhm gekämpft haben, sondern überlebt haben. Thunderbolts stellt sie alle an einen Scheideweg: Weiterkämpfen – oder endlich loslassen?
Besprechung mit dem Tele-Stammtisch
Mit Melanie und Stu vom Tele-Stammtisch habe ich über Thunderbolts im Podcast gesprochen:
Technisch gut – emotional fordernd
Thunderbolts überzeugt nicht nur durch starke DarstellerInnen, sondern auch durch seine Inszenierung. Ton, Schnitt und Score arbeiten zusammen wie ein düsteres Orchester: mal laut und zerstörerisch, mal leise und melancholisch. Gerade die Zwischentöne – wenn kein Wort gesagt wird, aber Blicke Bände sprechen – gehören zu den stärksten Momenten des Films.
Bleib sitzen. Wirklich.
Die zweite Post-Credit-Szene ist mehr als ein Teaser – sie könnte größere Kreise ziehen, als man ahnt.
Fazit:
Thunderbolts ist nicht einfach „der nächste Marvel-Film“. Es ist ein düsteres, reifes Kapitel im MCU, das sich Zeit nimmt für emotionale Wunden, moralische Fragen und Figuren, die man nicht so schnell vergisst. Für alle, die sich nach mehr Tiefe, mehr Ecken und Kanten im Superhelden-Genre sehnen – dieser Film ist für euch.